Dr. Lothar Köster (Initiator)    Berlin, den 4. Juli 2021

Wider die Talibanisierung des Sprechens!

In unserem Leben und Arbeiten müssen wir uns tagtäglich auf Gedeih und Verderb verständigen. Während wir mit dem zwiespältigen Alten und dem streitbaren Neuen ringen, schmieden und kneten wir beiläufig die Sprache. So folgt sie uns täglich treu - wenigstens hierum müssen wir uns nicht sorgen.

Sprache ist nicht 'ungerecht', sie ist nur der Bote. Menschen sind ungerecht, und Menschen streiten um Gerechtigkeit in ihren Sozialstrukturen.

• Wir wollen statt archaischer Traditionen endlich die Gleichstellung für die Frauen in Arbeit, Familie, Kultur, Politik, in der gesamten Gesellschaft.

• Wir wollen nach Jahrtausenden voller Raub- und Mord-Zügen endlich Gerechtigkeit zwischen den Völkern, welche allein Frieden ermöglicht.

• Wir wollen die je eigene Kultur wahren und uns von anderen Kulturen respektvoll inspirieren lassen.

Es braucht viel Mut, Verstand und Mühen, um Gerechtigkeit im alltäglichen Leben voranzubringen. Vor allem bedarf es der Freiheit von Meinung und Rede, die nirgendwo selbstverständlich und sicher ist.

Daher ist es völlig inakzeptabel, daß uns Zeitgenossen im Namen ihrer persönlichen Gerechtigkeitsregeln vorschreiben wollen, wie wir zu sprechen und zu schreiben haben.

Wir nehmen mit Sorge zur Kenntnis, daß sich hinter der Attitüde verbaler Gerechtigkeit erneut aggressive Denkstrukturen ausbreiten, die nicht nur Konflikte scheuen, sondern die freie Debatte selbst bekämpfen zugunsten absoluter Korrektheitslehren. Vorschriften für zulässige Rede und Wortverbote sind allzu bekannte Instrumente totalitärer Herrschaft.

Diesmal wollen wir den Anfängen wehren und rufen alle offenen Geister auf:

Bewachen Sie diese rote Linie der offenen Gesellschaft:

• Jeder Mensch darf ausnahmslos nach eigenen Regeln frei reden und schreiben.

• Er allein übernimmt die Verantwortung für die eigenen Worte.

• Er toleriert jedwede Rede der Anderen, darf sie aber in Frage stellen und Gegenrede führen.

Kein Gerechtigkeitswächter, aber auch keine Redaktion, kein Schulamt und kein Staat hat das Recht und die Kompetenz, den Individuen Sprach- und Schreibregeln vorzuschreiben.

Vertrauen wir den Bürgern, Journalisten, Lehrern, Schülern, Beamten und Politikern in ihrem Bemühen, tagtäglich die richtigen Worte zu finden und aus Fehlern zu lernen.

 

Die Diversität der Ansichten nährt die offene Gesellschaft. Nur sie schafft Gerechtigkeit.

Die scheinbare Sicherheit absoluter Regeln zerstört beide.

 


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Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

 

man möchte auf den ersten Blick erfreut sein über eine Gesellschaft, in der an allen Orten über Gerechtigkeit gestritten wird. Wer ist schon gegen die Gleichstellung der Frauen oder für Rassismus... Ob die Gleichstellung durch Flexionsformeln erreicht werden kann und Rassismus durch Wort-Verbote verschwindet, könnte man ja argumentativ klären. Aber wir müssen uns eingestehen, daß dieser Dialog nicht funktioniert, und wir müssen ausprechen, warum dies so ist.

Kategorienfehler

Bei genauer Betrachtung erweisen sich manche lautstarken Beiträge als befremdlich intolerant, sachlich verkürzend und hermetisch. Während wir Freunde der offenen Debatte noch um Argumente ringen, hat sich in die Reihen der Teilnehmer manch trojanischer Gast eingeschlichen, der uns im Namen der Gerechtigkeit Formen diktieren oder Wörter verbieten will. Diese Menschen wollen mitnichten an einer Debatte teilnehmen. Sie treten auf, um absolute Wahrheiten zu verkünden und jedes weitere Infragestellen zu verbieten.

Sicherheit

Sie streben nicht unter Mühen nach Gerechtigkeit, sondern sie flüchten vor der Komplexität der Lebens- und Gedankenwelt und der Anstrengung des Zuhörens und suchen Erlösung in der Gewißheit einfacher, endgültiger Regeln. Es sind bezeichnenderweise Studenten, genauer überforderte, an der Wissenschaft gescheiterte Studenten, die sich den schlichten Heilslehren zuwenden, Studenten der reinen Lehre, Taliban mit tiefer Verwurzelung in der deutschen Untertanentradition. Sie suchen die Sicherheit der ewigen Regel, also bekämpfen sie dessen ewigen Gegner, den frei denkenden und zweifelnden Geist und die Freiheit des Denkens und Zweifelns. Da ist wieder das Streben nach Aufgehobenheit in zeitlos absoluter Herrschaft, die Sehnsucht nach dem goldenen Zeitalter vor dem kapitalistischen Chaos.

Lauffeuer

Es würde niemanden stören, wenn einzelne Personen Nadeln in Wörter stechen. Aber sie fordern nicht weniger, als daß sich alle anderen ebenso verhalten müssen. Ihre Wahrheit kann ihnen nur total gelten, andere Lebensweisen bedeuten ihnen Verrat, jede Relativierung ist Feindtätigkeit. Mit dem Schlagwort der Gerechtigkeit bedrängen und erpressen sie Behörden wie Medien und erlangen so als radikale Minderheit maximale Aufmerksamkeit. Im wachsenden Machtwahn und bar jeder Kompetenz setzen sie unsere Kulturgüter auf ihre schwarzen Listen, von evangelikalen Sekten nicht mehr zu unterscheiden.

Man muß diese Menschen ernst nehmen, denn ihre Ängste sind reale Gewalt, die sich in Zeiten der Unsicherheit allzu schnell epidemisch ausbreiten kann.

Wir Freunde der offenen Gesellschaft tun uns schwer, diesen Mechanismus zu erkennen, gerade weil er uns so fremd ist. Auch wir sind erfahrungsblind gegenüber Wirkmustern, denen wir uns entziehen konnten. Aber Millionengesellschaften sind mächtige Systeme, deren chaotische Eigendynamik sich selten durch Vernunftargumente lenken läßt. Umso wichtiger ist es, lange vor dem Kipppunkt gegenzusteuern.

Bannmeile

Die Zurückweisung von Sprechvorschriften ist hier eine symbolträchtige wie pragmatische Bastion. Die Diversität in Eigenverantwortung ist absolute Voraussetzung für die Debatte um Gerechtigkeit und den Fortbestand einer offenen Gesellschaft.

Gegenfrage: Welche Gefahren drohen einer Gesellschaft, die jeden Menschen frei sprechen und schreiben läßt?
• Gelegentliche Fehlformulierungen? Verzeihbar, korrigierbar, kreativ!
• Unsicherheit in der Formulierung? Ein guter Grund, mehr auf das Sprechen der Mitmenschen zu lauschen. Sprache ist konventionell.
• Weniger Regeln und Regelwächter? Sehr gut! Ein Novum in diesem Land.
• Mehr Uneinheitlichkeit, mehr Abweichungen in Texten? Natürlich, denn davon lebt die Sprachdynamik, das hält unsere Sprache lebensaktuell.
• Anstößigkeit alter Literatur? Hoffentlich, sie soll Anstöße zur kritisch-geschichtlichen Einordnung geben.
• Uneinheitliche Mediensprache? Unbedingt, das Autorenprinzip muß verteidigt werden. Mediensprache darf uns nicht verarmen.
• Verfall, Verlotterung der Sprache? Das kann nicht passieren, solange wir in Freiheit leben und unsere Arbeit koordinieren müssen.

Die Sprache ist Organ und Katalysator der menschlichen Kultur, sie ist mit ihr gewachsen, und genau deshalb ist sie genauso wenig Menschenwerk wie der Mensch selbst. Wie peinlich vermessen erscheinen Versuche, die Trilliarden Sprechakte je Menschheitsjahr mit naiven ad hoc Regeln zu 'optimieren' oder 'gerecht' zu gestalten.

Nicht die Sprache wird vergewaltigt, nicht sie ist in Gefahr. Die Sprechtaliban vergewaltigen Menschen, und sie können es nicht bei den Sprechzwängen belassen.

Klarheit der Zurückweisung

Sie werden mit Recht darauf verweisen, daß es schon einige Aufrufe gegen den Genderzwang gibt. Die sind aber ausnahmslos linguistisch begründet. Der Verein Deutsche Sprache (VDS-ev.de) z.B. argumentiert auf höchstem fachlichen Niveau, richtet letztlich aber nur einen freundlichen Appell an alle, die deutsche Sprache durchzusetzen.

Ich rufe Sie deshalb in großer Sorge auf, darüber hinaus gegen erstarkende totalitäre Tendenzen Stellung zu beziehen. Es ist notwendig, die linguistische Tarnkappe von den glühenden Häuptern der antiliberalen Aktivisten zu ziehen.

Diese Zurückweisung muß ebenfalls eine klare und einfache Regel sein, die nicht in der verdrehten Rhetorik untergeht. Die absolute individuelle Freiheit und Eigenverantwortlichkeit des Sprechens und Schreibens ist ein einfacher Prüfstein der offenen Gesellschaft. Sie trifft die Gerechtigkeitswächter am entscheidenden Punkt, der Erpressung von Einheitsverhalten mit der Moralkeule der Gerechtigkeit. Die Freiheit des Individuums, die individuelle Autorschaft nimmt ihnen die Legitimität, kollektive Regeln zu verordnen. Sie verhindert die kalte Bücherverbrennung des literarischen Erbes durch die 'Korrektur' der selbstgerechten Laienrichter. Sie verhindert die Einschleichung in die Universitäten, Schulen, Behörden und Medien.

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Ich bitte Sie, bei Zustimmung den oben angefügten Aufruf als Erstunterzeichner zu unterstützen und gerne in diesem Sinne weiterzuleiten. Bei Zweifel oder Ablehnung freue ich mich auf Ihre Argumente.

 

Dr. Lothar Köster (Initiator) Berlin, den 4. Juli 2021

 

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